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Bergsalz

Das Allgäu, eigentlich eine sehr aufgeräumte Gegend. Einerseits geprägt durch raue Bodenständigkeit, aber eben auch ausgestattet mit einem Drang zum Aufbruch. So lebt Franzi, eine von vielen alleinstehenden älteren Frauen in einem kleinen Dorf im Allgäu, zurückgezogen für sich, wo sie jeden Tag nur für sich kocht und mehr und mehr vereinsamt. Als es eines Tages kurz vor Mittag an ihrer Haustür klingelt, ist sie sich nicht sicher, ob sie sich freuen oder ärgern soll über diese Störung. Es ist ihre Nachbarin Johanna, die um etwas Mehl bittet. Franzi durchschaut schnell diesen Vorwand, da sie weiß, dass alle Frauen im Dorf mehr als genug Vorräte in ihren Kellern haben. Aber in einer ziemlich unaufgeräumten Küche bietet sich auf einmal Platz für ein gemeinsames Mittagessen und viele neue Ideen. So entsteht der Gedanke, sich öfter im Dorf bei einer der alleinstehenden Frauen zum Mittagessen zu treffen. Die Anregung wird mit großem Interesse sehr gut angenommen, und Franzi versucht diese kurzentschlossen umzusetzen. Das schon lange stillgelegte Dorfgasthaus "Rössle" kommt als Lokalität perfekt in Frage, jedoch sind dort seit einiger Zeit Flüchtlinge untergebracht. Gemeinsam finden sich dort Franzi, Esma und Sabina in diesem Wirtshaus wieder. Nicht jede ist aus der Region, aber sie haben alle gewisse Gemeinsamkeiten. Franzi hat bereits die siebzig überschritten. Sie kann ganz gut allein sein, weil sie so vieles in ihrem Kopf hat, dass es auch locker für zwei reichen würde, aber das alleine Kochen für sich empfindet sie als Zumutung. Esma , eine syrische Drusin, zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt, ist mit ihrer Familie nach Deutschland geflüchtet. Sie ist in dem stillgelegten Gasthaus im Dorf untergebracht. Sie kann zeichnen, kochen und ist sehr durchsetzungsfähig. Die dritte im Bunde ist Sabina, Mitte zwanzig, die im Dorf seit jeher für Gesprächsstoff gesorgt hat, da sie sich immer schon gerne Freiheiten nahm und nimmt. So ist es nicht verwunderlich, dass sie auch nach ihren eigenen Gesetzen handelt und lebt. In der Küche des stillgelegten „Rössle“ braut sich mit all diesen Personen und den damit verbundenen Lebenserfahrungen etwas Neues zusammen. Ein halb leerer Kübel Alpensalz zeigt den Frauen zudem, dass man dem Leben immer neue Würze verpassen kann, und dies keine Frage der Zeit ist.

Die Autorin, Karin Kalisa, lebt seit einigen Jahren im Osten Berlins, nachdem sie vorher Station in Bremerhaven, Hamburg, Tokio und Wien gemacht hat. Sowohl als Wissenschaftlerin als auch mit dem Blick einer Literatin forscht sie in den Feldern asiatischer Sprachen, philosophischer Denkfiguren und ethnologischer Beschreibungen. Nach Karin Kalisas Debütroman „Sungs Laden“ und der Wintererzählung „Sternstunde“ erschienen zuletzt ihre Romane „Radio Activity“ und nun „Bergsalz“.

Der Roman erzählt vom Verlassen sein, der damit verbundenen Einsamkeit und vom Zusammenhalt, aber auch von Rückzug und Zuzug. „Bergsalz“ wirft ein Licht zurück auf die Zeit des 16. Jahrhunderts, spielt aber auch im hier und jetzt. Das Buch ist in sechs Kapitel unterteilt, dazwischen auch immer wieder Passagen mit Erklärungen aus dem 16. Jahrhundert in dieser Region, ein Glossar am Schluss bietet dazu sachliche Definitionen, die mir sehr hilfreich waren. Sehr interessant zu lesen.

Gerade in unserer globalen Welt zeigt es dem Leser, wie einfach es sein kann, etwas zu bewegen, wenn sich Menschen von total unterschiedlicher Herkunft zusammentun, um nicht alleine zu sein. Ein gutes Mittel gegen Einsamkeit und zur Bildung und Stärkung einer neuen Gemeinschaft.

Andrea Müller