Wieder einmal stellt sich den Deutschen ein Phänomen: Je mehr sich andere Politiker in großen und kleinen Skandalen verstricken, um so heller scheint sein Stern zu strahlen. Doch inzwischen scheint auch Joschka Fischer in zwielichtigen Verwicklungen verstrickt, doch bleibt er weiterhin der beliebteste Politiker in Deutschland. Auch, wenn er Hoffnungsträger und als Leitfigur des kritischen Geistes viele Anhänger tief enttäuscht hat. Spätestens mit seiner hypermoralischen Verteidigung des Kosovo-Krieges wurde deutlich, dass Überzeugungen zerfallen, wenn es opportun erscheint.
Was an diesem herausragenden Politiker so widersprüchlich wirkt, erweist sich bei genauerer Betrachtung als verblüffend konsequent. Fischer war in Wirklichkeit nie Pazifist; seine unglaubliche Karriere vom Metzgersohn zum Außenminister hat Joschka Fischer vor allem durch Machtinstinkt und Wille zur Anpassung vorangetrieben. Heute, als Chef des Auswärtigen Amtes, versteht es Fischer glänzend, sich als Staatsmann zu inszenieren. Die Bilanz seiner Politik ist eher mager, auch wenn in diesen für ihn schweren Zeiten immer wieder darauf hingewiesen wird, dass der ehemalige Anführer der „Putztruppe“ der Frankfurter Szene in den 70-er Jahren außenpolitische Erfolge erzielt hat. Welche das sind, bleibt weiter offen.
Michael Schwelien erklärt Fischers Politikstil, seinen Machthabitus auch aus den Stürmen seiner Biographie: wie die familiäre Vertreibungsgeschichte seine Kosovo-Politik beeinflusst. Warum er die Grünen als Sprungbrett seiner Karriere erkannt hat. Wie er seine Konversion von der „grünen Tonne“ zum Jogging-Guru geschickt zum Gestus des prinzipientreuen Asketen wandelt. Wie er sich in seinem Leben zum Außenseiter stilisiert hat.
Eine faszinierende Karriere, die gleichzeitig das Altern einer ganzen Protestgeneration spiegelt.
„Joschka Fischer – Eine Karriere“, Michael Schwelien; Hoffmann & Campe Verlag; 336 Seiten plus 16 Seiten s/w-Bildanteil;39,90 Mark.