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Alice im Wunderland

Ein kleines Mädchen liegt im Bett und erzählt seinem Vater, dass es einen seltsamen Traum hatte. Es hat geträumt, dass es in ein tiefes Loch gefallen ist, und von einem Hasen im Jackett, und von einer bösen Königin. Als es den Vater fragt, ob es nun verrückt sei, antwortet er „Ja, aber die größten Menschen sind es ja auch“. Das Mädchen heißt Alice und ist sechs Jahre alt.
13 Jahre später soll sich dieselbe Alice verloben, die gesamte „bessere Gesellschaft“ ist angereist, um dem Hochzeitsantrag beizuwohnen. Immerhin soll sie den Sohn eines Lords heiraten, der Alice aber gar nicht gefällt, aber mitten im Antrag ihres zukünftigen Gatten wird sie abgelenkt. Ein Hase hüpft vor ihr her, bis sie ihm folgt. Bei dieser Verfolgung fällt sie in ein tiefes Loch, muss sich schrumpfen und wieder groß werden lassen und allerlei wunderlichen Geschöpfen erklären und versichern, dass sie die echte Alice ist. Jeder scheint sie zu kennen, doch sie ist sich sicher, noch nie jemanden davon vorher gesehen zu haben.
So beginnt Tim Burton’s Version von „Alice im Wunderland“, die er von einer kindlichen auf eine jugendliche Alice verlagert, die ins Wunderland zurück kehrt, um die Herrschaft der bösen Herz-Königin endlich ein Ende zu setzen. Fans des genialen Regisseurs haben ganz eigene Vorstellungen davon, wie das Genie den Film umgesetzt haben könnte, doch hat er seinen alten Stil tatsächlich fortsetzen können? Der Film ist knallbunt und die Geschöpfe mehr als schräg.Die Rollen sind bis auf die kleinste Nebenrolle mit meist britischen Schauspielern wie Christopher Lee und Stephan Fry prominent besetzt. Burton arbeitete auch am Set wieder mit alten Bekannten zusammen, allen voran Komponist Danny Elfman. Aber reicht das aus, um einen echten Burton-Film zu machen?
Tim Burton ist älter geworden und wieder an seinem Ausgangspunkt, den Disney-Studios, angekommen, wo er damals als Zeichner für „Cap und Capper“ gearbeitet hat, bevor er seinen ganz eigenen Reigen an herrlich schrägen Filmen begonnen hat. „Alice“ hat er bewußt in 2D gedreht, weil er keinen Grund gesehen hat, den Film im deutlich aufwändigeren 3D zu drehen, und so wurde „Alice im Wunderland“ einfach in 3D konvertiert, wie er es zuvor schon mit „The Nightmare Before Christmas“ getan hat. Die Bilder in 3D sind scharf und leuchtend, die 3D-Effekte bewusst überschaubar, um den Film nicht mit räumlichen Effekten zu überfrachten. Burton’s „Alice im Wunderland“ hat wunderschöne Bilder, grandiose Bauten, schräge Figuren und einen atemberaubend schönen Soundtrack. Bei manchen Bildern hat man das Gefühl, sie schon längst zu kennen, sei es ein alter Baum aus „Sleepy Hollow“ oder bunte Wiesen aus „Charlie und die Schokoladenfabrik“. Leider entwickelt sich die Geschichte um Alice viel zu vorhersehbar und verliert sich in seinem Verlauf in „normalen“ Bildern, die das Burton-Feeling einfach nicht rüber bringen. Ein Zugeständnis an die Disney-Zielgruppe?
Alles in allem ist „Alice im Wunderland“ ein wunderschöner bunter Film für die ganze Familie, kindgerecht inszeniert, aber leider nichts für eingefleischte Tim Burton-Liebhaber.
„You have lost your muchness“, erklärt der Hatter seiner jugendlichen Freundin Alice im Film. Tim Burton leider auch. Vielleicht klappt es ja wieder bei seinem nächsten Projekt.

Pascal May
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