Manchmal zahlt sich Hartnäckigkeit wirklich aus, denn Talent alleine reicht oft nicht. In Zeiten des Internet scheint es aber deutlich einfacher geworden zu sein, auf sich aufmerksam zu machen und einem größeren Publikum bekannt zu werden. So dachte es sich auch Ingrid Michaelson, die mit 23 Jahren ihre ersten Songs auf einer CD veröffentlichen wollte. Da sich aber keine Plattenfirma für ihre Musik interessierte, hat sie ihre erste CD im Selbstverlag auf den Markt gebracht. Drei Jahre später folgte ihre zweite CD, "Girls And Boys", auf der Internet-Plattform MySpace. Eine Musikmanagerin wurde auf die Lieder der jungen Musikerin aufmerksam und brachte deren Song "Breakable" bei der TV-Serie "Grey's Anatomy" unter. Plötzlich war Ingrid Michaelson in aller Munde, und "Girls And Boys" stürmte die iTunes-Charts. Auch andere ihrer Songs wurden in weiteren Serien untergebracht, und auch durch die musikalische Untermalung diverser Werbeclips mit ihrer Musik wurde die international bekannt. Inzwischen sind alle ihre Alben bei großen Plattenfirmen erschienen. Zwischendurch hat sie immer wieder mit und für andere Sängerinnen gearbeitet, darunter Sara Bareilles und Cheryl Cole.
Nach diversen Schicksalsschlägen und überwundener längerer Krankheit, während der sie nicht komponieren oder musizieren konnte, ist mit "Lights Out" bereits Ingrid Michaelsons fünftes Studio-Album erschienen. Hierfür hat sie sich musikalisch deutlich in Richtung Pop weiter entwickelt, und auch optisch hat sie eine Wandlung durchlaufen. Neu ist auch, dass sie nicht alle Songs alleine geschrieben und produziert hat, sie hat sich dafür Verstärkung geholt. So auch beim Singen, denn bei sechs Songs singt sie mit Männern im Duett. Die Gitarren- und Klavierparts spielt sie bei den Aufnahmen ihrer Lieder aber weiterhin selbst ein.
Insgesamt wirkt sie mit ihren 14 neuen Songs auf "Lights Out" frischer, fröhlicher, optimistischer und ausgelassener, aber auch reifer, optisch hat sie sich vom Typ Mauerblümchen zu einer aufregenden jungen Frau gewandelt.
Ihrem musikalischen Wirken haben all diese Veränderungen keinen Abbruch getan, im Gegenteil. Waren die Vorgänger-Alben eher mit melancholischen Songs gefüllt, geht es auf "Lights Out" nun fröhlicher, rockiger und mitunter gar hymnisch zu, wozu sie unter anderem statt lediglich ihrer Ukulele auch große Orchester genutzt hat. Die erste Singleauskopplung, "Girls Chase Boys", ist ein fröhlicher Happy-Song mit besten Ohrwurm-Voraussetzungen, bei dem der Fuß schon bei den ersten Takten automatisch zu wippen beginnt. Dazu wurde ein Video produziert, das sich an den bekannten Robert Palmer-Clip zu "Simply Irresistibe" orientiert, nur dass in diesem Fall die Sängerin, sehr sexy gestylt, von einer Horde tanzender Männer umschwärmt wird.
Rockig geht es gleich mit dem ersten Titel der neuen CD, "Home", ebenso bei "Warpath" und "Time Machine" zu, aber auch bei "You Got Me", einem Duett mit Storyman, geht die Post richtig ab. Gewohnt verträumt und nachdenklich klingen "Wonderful Unknown", "Open Hands" und "Ready To Lose". Bei "Handsome Hands" baut sich der Song derart langsam auf, dass man Ingrid Michaelson die Hand halten und zurufen möchte "Lass es raus, Ingrid!", doch es kommt nicht zur stimmlichen Explosion. Ähnlich aufgebaut sind auch "Stick" wie auch "Over You", ein Gänsehaut-Duett mit A Great Big World, wobei es vor allem bei Letzterem tatsächlich zu einem klanglichen Höhepunkt kommt. Eher wie ein Schlager-Liedchen kommt "One Night Town" daher, ein Duett mit Mat Kaerney, schafft es aber durch die überbordende Fröhlichkeit, die der Song verbreitet, nicht zu einem Nerv-Faktor zu werden. Den krönenden hymnischen Abschluss der CD bildet "Everyone Is Gonna Love Me Now", in das man sich schon beim ersten Hören verliebt.
"Afterlife" sollte durch den Airplay und den sehr empfehlenswerten Video-Clip bereits breiter bekannt sein, und findet sich ebenfalls auf diesem Album.
Ingrid Michaelson ist mit "Lights Out" eine geniale Platte gelungen, die hoffentlich ihren lange verdienten internationalen und ganz großen Durchbruch bedeuten wird. Originell geschrieben, perfekt produziert, grandios gesungen und eingespielt ist dieses Album eine Blaupause für perfekte Pop-Songs, auf die Musik-Liebhaber lange gewartet haben.
Bitte, Ingrid, mach weiter so und lass noch mehr raus!