Auch nach über 30 Jahren finden sich noch immer spannende Geschichten aus der DDR, die es sich lohnt, zu verfilmen, um mehr über diesen Unrechtsstaat und seiner vielfältigen Instrumente, die eingesetzt wurden, um ihre Bürger gefügig zu halten, zu erfahren und zu lernen. Dass in der DDR bis in die 1980er Jahre die Todesstrafe vollstreckt wurde, ist nur noch wenigen bekannt. Damit es nicht so bleibt, dafür sorgt der Film "Nahschuss", der nun für das Heimkino auf DVD und BluRay vorliegt.
Der junge Franz Walter ist ein idealistischer Wissenschaftler. Er soll ein Jahr lang Studien in Äthiopien durchführen, um nach seiner Promotion, die er gerade an der Humboldt-Universität abgeschlossen hat, weiter an seiner Karriere arbeiten zu können. Zu dieser Reise kommt es nicht mehr, denn plötzlich wird er anderweitig gebraucht: Wenn er sich der Hauptabteilung Aufklärung im Ministerium für Staatssicherheit anschließt, stehen ihm alle Türen offen, selbst seine Professur scheint beschlossene Sache zu sein. Geblendet von diesem Angebot und mit der Aussicht auf jede Menge Vorzüge, die der neue Job mit sich bringt, nimmt Franz das Angebot an. In seiner Verpflichtungserklärung verpflichtet er sich zum Stillschweigen, auch seiner Familie gegenüber.
Franz' Freundin Corina, die als Kindergärtnerin arbeitet, genießt das neue Leben an seiner Seite, die unter anderem eine neue, große Wohnung mit sich bringt. Kurz nach Bezug der neuen Wohnung heiraten Franz und Corinna.
In seinem Vorgesetzten Dirk findet Franz zunächst einen ihm wohlgesinnten Mentor, der ihm während der gemeinsamen Auslandseinsätze in der Bundesrepublik Deutschland mit Rat und Tat zur Seite steht. Zunächst scheinen sich Franz’ Missionen lediglich auf die Beschaffung von Informationen zu beschränken, doch schon bald merkt er, mit welch perfiden Methoden die Stasi arbeitet, um abtrünnige Genossen wieder auf den rechten Pfad zurückzubringen. Franz bekommt bald Gewissensbisse und weiß sich nicht anders zu helfen, als seinen Ausstieg aus dem Geheimdienst vorzubereiten. Er ist fest entschlossen, alles zu riskieren, damit er seine Arbeit für die Stasi beenden kann, koste es, was es wolle.
Der Film liegt auf DVD in der deutschen Sprachfassung (Dolby Digital 5.1) vor. An Extras finden sich Interviews mit der Regisseurin sowie den drei Hauptdarstellern.
Die Geschichte des Franz in "Nahschuss" ist fiktiv, aber an die Geschichte von Dr. Werner Teske angelehnt. Der gilt als der mutmaßlich letzte Bürger der DDR, der aufgrund eines Gerichtsurteils hingerichtet wurde.
Die Regisseurin Franziska Stünkel, die auch das Drehbuch verfasst hat und den Film mit-produziert hat, legt großen Wert auf die historisch korrekte Darstellung der Begebenheiten, so dass auch an historischen Orten gedreht wurde, unter anderem im ehemaligen Gebäude der Staatssicherheit in der Berliner Normannenstraße wie auch im ehemaligen Stasi-Gefängnis in Berlin-Hohenschönhausen.
Ort und Zeit der Handlung muss sich der Zuschauer aber erst erarbeiten, denn so gibt es keinerlei erklärende Einblendungen, wann und wo der Film spielt, auch auf einen Vorspann wurde gänzlich verzichtet. Ebenso verzichtet wird in "Nahschuss" auf Sounddesign, und so bekommen die Zuschauer ausschließlich natürliche Töne zu hören. Weiterhin gibt es im gesamten Film keine Filmmusik, erst im Abspann setzt Musik zum Film ein. Einzig die Lieder, die Franz und Corina in ihrer Wohnung hören, unter anderem von "Karat" oder "City", oder zu der sie auf einer Party tanzen, lockern die Szenen etwas auf.
Im Verlauf des Films wird immer weniger Licht eingesetzt, um die erdrückenden Emotionen von Franz darzustellen, aber auch die einsetzende Hoffnungslosigkeit, ob ihm ein Ende bei der Staatssicherheit überhaupt möglich sein wird.
"Nahschuss" ist ganz sicher ein eindringlicher und sehr wichtiger Film über die Todesstrafe in der DDR. Die Hauptrollen waren für die Regisseurin die erste Wahl. Lars Eidinger spielt überzeugend wie selten, und ist einmal mehr mehrmals komplett nackt zu sehen. Luise Heyer kommt als Corina nicht wirklich zum Zug, spielt aber ihre Rolle sehr intensiv. Devid Striesow nimmt man die Rolle des skrupellosen Oberleutnants der Staatssicherheit zu jeder Zeit ab.
"Nahschuss", der erste Lang-Spielfilm von Regisseurin Franziska Stünkel, hatte seine Weltpremiere im vergangenen Jahr beim Filmfest München, wo Stünkel mit dem "Förderpreis Neues Deutsches Kino" und dem "One Vision Award" ausgezeichnet wurde. Danach wurde der Film auf zahlreichen Filmfestivals auf der ganzen Welt gezeigt.
Der in nur 25 Drehtagen gedrehte Film "Nahschuss" bringt Licht in ein wichtiges Stück deutsche Geschichte, das national wie international kaum bekannt ist. Allein deswegen sollte man sich diesen emotional starken Film ansehen, der jederzeit unter die Haut geht. Auch im Schulunterricht sollte verstärkt auf "Nahschuss" zurückgegriffen werden!
D 2021, 116 Minuten
mit Lars Eidinger, Devid Striesow, Luise Heyer