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Das Geschenk

Als Milan Berg an einer Ampel steht, hält neben ihm ein Wagen. In diesem grünen Volvo sitzen im vorderen Bereich ein Mann und eine Frau sowie auf dem Rücksitz ein völlig verängstigt wirkendes Mädchen mit tränenverquollenen Augen. Dieses Kind drückt verzweifelt einen Zettel an die Fensterscheibe des Wagens. Ist das gar ein Hilferuf? Was darauf steht kann Milan allerdings nicht lesen – denn er ist Analphabet! Davon gibt es über sechs Millionen allein in Deutschland. Leise murmelt er vor sich hin: Ich kann es doch nicht lesen. Sein Bauchgefühl allerdings sagt ihm, dass hier etwas nicht stimmt und das Mädchen in tödlicher Gefahr ist. Seinem Gefühl nachgebend folgt er mit seinem Fahrrad bis zur körperlichen Erschöpfung solange der Volvo-Limousine, bis diese vor einem Gebäude hält. Dort steigt die dreiköpfige Familie aus und verhält sich völlig normal. Milan, der glaubt, einem üblen Scherz zum Opfer gefallen zu sein, kehrt wütend um, und kommt völlig verspätet beim Imbiss, seiner Arbeitsstelle, an. Da ihm die erlebte Situation mit dem Kind nicht aus dem Kopf geht, setzt er sein künstlerisches Talent ein, um die Szene an der Ampel so detailgetreu wie möglich nachzuzeichnen. Er ahnt nicht, dass er damit eine Kette von Ereignissen auslöst, die ihn Auge in Auge mit dem Tod bringen. Nach seiner Empfindung braucht das Kind nach wie vor seine Hilfe, die er ihm nicht gleich geben konnte. Er sah ja irgendwie die Not, konnte aber nicht lesen, was es ihm mitteilen wollte. Denn auf dem Schild bat das Mädchen um Hilfe und fügte hinzu, dass die Personen im Wagen nicht ihre echten Eltern sind. Dies findet er allerdings erst mit Hilfe seiner Freundin Andra heraus. Damit beginnt nun endgültig eine albtraumhafte Irrfahrt für ihn und Andra. Die Ereignisse überschlagen sich und mit jeder Stunde mehr kommt er zu der Feststellung, dass hier kein gutes Ende in Sicht ist. Die Wahrheit kann so entsetzlich sein, dass es sehr schwer fällt, mir ihr weiterzuleben. Unwissenheit dagegen kann das größte Geschenk auf Erden sein.

Sebatian Fitzek, Jahrgang 1971, lebt in Berlin und ist Deutschlands erfolgreichster Autor von Psychothrillern. In Berlin studierte er Jura, promovierte im Urheberrecht und arbeitete dann als Chefredakteur und Programmdirektor für verschiedene Radiostationen. Er ist mit all seinen Romanen, seit seinem Debüt 2006 mit „Die Therapie“, immer ganz oben auf den Bestsellerlisten zu finden. Seine Bücher werden inzwischen in vierundzwanzig Sprachen übersetzt und sind Vorlage für internationale Kinoverfilmungen wie auch Theateradaptionen. Mit dem Europäischen Preis für Kriminalliteratur wurde Sebastian Fitzek als erster deutscher Autor ausgezeichnet.

Ist „Das Geschenk“ irgendein Geschenk, ein Geschenk für Fans oder das Geschenk? Diese Frage stellt sich bereits nach den ersten Kapiteln bei diesem Psychothriller nicht mehr. Sebastian Fitzek ist wahrlich ein Meister der Spannung und seine Handlungsgeflechte können einen nur fasziniert immerzu weiterlesen lassen. Aus Sicht der einzelnen Charaktere berichtend gehen diese Handlungsfäden zunehmend in ein spannungsgeladenes Gewebe über, das einen nur so staunen lässt. Jedes Mal, wenn der Leser glaubt, der Lösung nahe zu sein und ein Ende in Sicht wähnt, passiert Neues und alles geht wieder in eine andere Richtung. Mit einem fulminanten Ende mit mehr als nur einer Überraschung findet dieses Buch seinen absoluten Höhepunkt. Das Thema „Analphabeten“ für und in einem Thriller zu nutzen, ist für mich megastark. Dadurch wird einem so ganz „nebenbei“ bewusst, welch eine große Anzahl es doch noch in Deutschland davon gibt. Nett ist auch seine dieses Mal besondere Form der am Ende des Buches immer stattfindenden Danksagung. Mehr dazu verrate ich nicht. Das Cover, vom Outfit als Geschenk aufgemacht, ist ebenfalls sehr ansprechend und rundet dieses sehr gelungene Werk in besonderem Maße ab. Ich kann nur sagen, „Das Geschenk“ ist sowohl ein perfektes Weihnachtsgeschenk wie auch sonstiges Präsent und natürlich auch für Leute, die sich gern mal wieder auch selbst beschenken möchten, bestens geeignet.

Michael Müller
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