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Kleine schmutzige Briefe

Manche Filme kann man getrost nur wegen ihrer Besetzung ansehen. Wenn die auch noch mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, umso mehr. Olivia Colman spielt in „Kleine schmutzige Briefe“ bereits zum zweiten Mal mit Jessie Buckley zusammen, und ihre Chemie ist einfach umwerfend. Nun ist dieser Film auch für das deutsche Heimkino auf BluRay und DVD verfügbar.

Littlehampton ist eine Stadt in West-Sussex, ungefähr in der Mitte zwischen Brighton und Portsmouth, direkt am Ufer des Ärmelkanals. Im Jahr 1920 kennt dort jeder jeden, und so fällt es auf, als die alleinerziehende Mutter Rose Gooding zusammen mit ihrer Tochter Nancy in die Stadt zieht. Sie ist unmittelbare Nachbarin der Familie Swan, eine konservative und sehr gläubige Familie bestehend aus dem strengen Vater Edward, der gottesfürchtigen Mutter Victoria und der alleinstehenden Tochter Edith, die mit Ende 40 noch immer zuhause lebt.
Rose und Edith könnten unterschiedlicher nicht sein, und dennoch freunden sie sich an, vermutlich deswegen, weil sie beide auf das Leben der anderen neidisch ist. Edith gefällt die junge Rose, die sich nichts vorschreiben lässt und ihr Leben lebt, wie sie es möchte und in wilder Ehe lebt. Rose glaubt, wenn sie nur so wäre wie Edith, dass sie dann von der Gemeinschaft endlich anerkannt würde.
Kurz nach dem Rose in die Nachbarschaft gezogen ist, bekommt Edith höchst obszöne Briefe zugeschickt, deren Verfasser nicht auszumachen ist. Alle vermuten, dass nur die dauerfluchende Rose dahinter stecken kann. Weil es in das Bild der Gemeinschaft passt, wird Rose festgenommen und es soll ihr der Prozess gemacht werden, nach deren Urteil sie nicht nur ins Gefängnis kommen, sondern auch das Sorgerecht für ihre Tochter verlieren würde. Für fast alle in Littlehampton scheint der Fall klar zu sein, nur Rose kann hinter diesen schmutzigen Briefen stecken. Doch die weibliche Polizeibeamtin Moss kann das alles nicht glauben, weil allein schon das Schriftbild nicht passt, und überzeugt noch andere Frauen aus ihrem Umfeld davon. Als die Presse zunächst lokal, dann überregional über den Fall berichtet, schaltet sich gar das Britische Parlament und selbst der Innenminister ein und Edith erhält landesweite Bekanntheit. Sie gilt nun als moralisches Vorbild in England, die nun sogar die Predigt im nächsten Gottesdienst halten darf. Aber was, wenn Rose gar nicht die Täterin ist, denn bald schon bekommen immer mehr Einwohner des Küstenstädtchens solche Briefe?

Der Film liegt auf BluRay in der deutschen (DTS-HD MA 7.1 und Stereo PCM) und der englischen (DTS-HD MA 5.1 und Stereo PCM) vor. An Extras finden sich die drei kurzen Featurettes „Freund & Feind“, „In den Zwanzigern“ und „Nach einer wahren Geschichte“.

Kaum zu glauben, dass die Geschichte von „Kleine schmutzige Briefe“ tatsächlich so in Littlehampton passiert ist, und nun einhundert Jahre später erzählt wird. Die beiden Hauptrollen mit Olivia Colman als Edith und Jessie Buckley als Rose zu besetzen, passt einfach ganz wunderbar, und auch die „weibliche Polizeibeamte Moss“ wird von Anjana Vasan sehr überzeugend dargestellt. Timothy Spall als Ediths strengen Vater und Gemma Jones als ihre Mutter runden die ausgezeichnete Besetzung ab. Regie führte Thea Sharrock, die zuvor „Ein ganzes halbes Jahr“ nach dem Roman von Jojo Moyes unter anderem mit Emilia Clarke inszenierte.

„Schmutzige kleine Briefe“ ist ein Film über Frauenfreundschaften, vor allem aber auch über das ausgeprägte Patriarchat dieser Zeit, in der Frauen nichts galten, und auch in Männerberufen nicht anerkannt, sondern höchstens geduldet wurden. Es geht aber auch um Neid auf die Lebensweise von anderen, die man deswegen nicht erträgt, weil man selbst gerne so leben möchte, und wie schnell Rufmord selbst weit vor den sozialen Medien große Bedeutung hatte. So hat die Geschichte selbst nach so langer Zeit nichts an seiner Aktualität verloren, und selbst in Teilen ist er, insbesondere was die Gleichstellung von Mann und Frau angeht, noch immer sehr aktuell.
Der Film, der bereits im September 2023 seine Premiere beim Toronto International Film Festival feierte, und im März 2024 in die deutschen Kinos kam, ist ein reines Vergnügen, allein durch die große Spielfreude der beiden Hauptdarstellerinnen. Das pointierte Drehbuch von Jonny Sweet gibt den beiden Miminnen genau den Raum, den sie brauchen, um nach Herzenslust aufspielen zu können.

Nicht ganz nachzuvollziehen ist bei der BluRay, wieso der deutsche Ton bei einem reinen Dialogfilm in sieben Kanälen vorliegt, was sonst eher bei großen Action-Filmen der Fall ist. Dieser Fakt vergrößert den Spaß an diesem Film nicht, aber durch zahlreiche Geräusche im Film wird er immerhin unterstützt.

Obwohl „Kleine schmutzige Briefe“ auf zahlreichen Filmfestivals weltweit gezeigt wurde und viele positive Kritiken bekommen hat, ist der große Erfolg an der Kinokasse ausgeblieben. Wer den Film bisher verpasst hat, kann und sollte ihn nun im Heimkino nachholen, denn er lohnt sich auf jeden Fall! Eine hundert Jahre alte Geschichte, die noch immer aktuell ist, wie einst, und eine großartige Besetzung hat, sollte sich niemand entgehen lassen!

Pascal May